Kinderfreunde Zeitung August 2010
Pubertät
Die Auseinandersetzung mit Jugendlichen ist ein Prozess mit unbekanntem Ausgang. Wir brechen zu einer Reise auf, ohne das Ziel zu kennen. Da unsere Haltungen und Ideen durch die Aktionen unserer Söhne und Töchter hinterfragt oder sogar erschüttert werden, fühlen wir uns oft ratlos. Wegen der Diskussionen und aufbrechenden Emotionen verlieren wir manchmal den Überblick.
Als Erwachsene haben wir die Aufgabe, im Rahmen unserer Möglichkeiten den Jugendlichen zu helfen, den kurvenreichen, verschlungenen Pfad von der Kindheit zum Erwachsenenalter erfolgreich und glücklich zu bewältigen. Wenn wir uns aufregen, sich uns Hindernisse in den Weg stellen, Steigungen überwunden werden müssen oder wir an uns selber oder unseren Jugendlichen zweifeln, dann gehört dies zur Auseinandersetzung mit der Jugend. Wir sind keine Maschinen und nur sehr begrenzt Vorbilder. Die Beziehung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen wird von unbewussten Kräften und Motiven beeinflusst. Tiefere Emotionen bestimmten unser Verhalten, unsere Projektionen, Phantasien, unseren Ärger und unsere Verzweiflung. Erwachsene und Jugendliche sind Teil eines archetypischen Dramas, in dem die Rollen schon vorher verteilt wurden und das einem vorgegebenen Muster folgt. Der Handlungsspielraum wird durch diese Vorgaben eingeschränkt. Wir können auf diese seelisch-strukturellen Möglichkeiten Rücksicht nehmen, bevor wir Ratschläge erteilen, Programme aufstellen oder persönliche Maßnahmen erwägen.
Die Tatsache, dass wir Teil eines immer wieder inszenierten Dramas sind, bedeutet jedoch nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen und die Pubertät teilnahmslos an uns vorbeiziehen lassen. Im Gegenteil: Als Vater, Mutter oder sonstige Bezugsperson gilt es, die emotionalen wie auch geistigen Auseinandersetzungen zu wagen und einen offenen, interessierten, klaren und respektvollen Dialog mit der Jugend zu pflegen. Wir müssen unserer archetypischen Aufgabe gerecht werden und den Einflussspielraum nutzen, der uns gegeben ist. Das Wissen, dass wir vieles, jedoch nicht alles bewirken könne, erlaubt uns den Wirren der Pubertät mit Gelassenheit zu begegnen und den widersprüchlichen, facettenreichen Charakter, den das Faszinosum Mensch auszeichnet, liebevoll und versöhnlich anzunehmen.